Mittwoch, 6. Dezember 2017

Festrede zu sam. Erwartungen treffen auf Haltungen. 10 Jahre Mobile Soziale Arbeit im Öffentlichen Raum

Sozialräumliche Exklusion vs. integrative Urbanität.
Herausforderungen der Teilhabe marginalisierter Menschen an der wachsenden Stadt -
Perspektiven einer Mobilen Sozialen Arbeit im Öffentlichen Raum.

Festrede zu
sam. Erwartungen treffen auf Haltungen. 10 Jahre Mobile Soziale Arbeit im Öffentlichen Raum.

Jubiläumsveranstaltung am Di., 28. 11.2017, von 16:00 bis 18:00 Uhr
im ega, 1060, Windmühlgasse 26

Danke für Einladung! Es ist eine große Ehre für mich, anlässlich der Feier zur 10 Jährigen Arbeit der Mobilen Soziale Arbeit im Öffentlichen Raum diesen Redebeitrag halten zu dürfen. Als Koordinator für den sozialräumlichen Zweiges des Masterstudiengangs Sozialraumorientierte und Klinische Soziale Arbeit auf der FH Campus Wien beschäftige ich mich ja schon lange mit der sozialen Arbeit im öffentlichen Raum – umso mehr freue ich mich, dass ich aus dieser kritischen Position diese Rede halten darf! Ich werde über
Herausforderungen der Teilhabe marginalisierter Menschen an der wachsenden Stadt
reden. Dazu möchte ich 2 Vorbemerkungen machen:
1. Wien ist eine der reichsten Städte der Welt – Wien ist jetzt schon länger auf Platz 1 des Städterankings der Mercer-Studie, die Wien v.a. aus der Perspektive des ausländischen Personals auf Managementebenen betrachtet. Aber auch, wenn das eine eingeschränkte Sichtweise darstellt, weil weniger die Situation der Wohnbevölkerung betrachtet wird, zeigt dies die hohe Lebensqualität und den Reichtum, die wir in Wien finden.
2. Wien wandelt sich seit 1989 zu einer internationalen – eigentlich globalen Stadt. Von globalen Städten wissen wir, dass sie Anziehungspunkte sind – für die Binnenmigration und die internationale Migration. Hier gibt es nicht nur Reichtum, sondern hier gibt es v.a. Arbeitsplätze. Eine globale Stadt zieht billige Arbeitskräfte an und u.a. Konzerne brauchen diese auch, für billige Dienstleistungen, für die Versorgung, für die Reinigung, für Botendienste und die Gastronomie. Aber auch von Armut betroffene Menschen werden von reichen Städten angezogen. Ihnen fällt etwas vom Wohlstand dieser Städte ab.
In der modernen großen Stadt ist es Normalität, dass diese internationaler wird, vielfältiger aber auch stärker von sozialer Ungleichheit geprägt ist.
Diese Städte sind auch mehr dazu gezwungen mit Armut umzugehen, darüber nachzudenken, wie diese Armut eingedämmt werden kann. Das spüren wir jetzt ja auch in der Mindestsicherungsdebatte, die Wien besonders trifft: Weniger Unterstützung wird noch mehr Armut auf der Straße bedeuten.
Die Armut auf der Straße ist aber auch auf andere Weise ein Ausdruck des Reichtums der Stadt: Steigenden Boden- und Immobilienpreise in einer wachsenden Stadt machen es schwerer, leistbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Der Profit auf der einen Seite führt zu mehr Armut auf der anderen Seite, die in der Folge auch stärker auf der Straße sichtbar wird.

In der Folge spreche ich nun von Menschen, die von Armut betroffen sind – und im öffentlichen Räumen sichtbar werden. Ich bleibe hier in Anbetracht der Kürze der Zeit ungenau – natürlich sieht Armut unterschiedlich aus – das zeigt sich nicht nur in Wohnungslosigkeit, sondern z.B. auch in engen Wohnraum. Ich bleib da jetzt aber etwas oberflächlich.

Die im öffentlichen Raum sichtbarere Armut ist in der Folge Gegenstand von öffentlichen Auseinandersetzungen. Man_frau will sie nicht sehen, man_frau fühlt sich dadurch gestört – vielleicht sogar bedroht im eigenen Wohlstand, bzw. in der eigenen sozialen Absicherung. Das zeigt sich auch in Normalitätsvorstellungen, die sich gegen diese Armen richten. Armut wird zwar oft in einem von der Norm abweichenden Verhalten sichtbar – aber diese Verhaltensweisen sind kaum tatsächlich bedrohlich, sondern vielleicht manchmal unangenehm.
Trotzdem wird über diese abweichenden Verhaltensweisen ein Diskus über die subjektive Sicherheit inszeniert – einerseits weil er sich medial gut verkaufen lässt. Medien profitieren von der Debatte über die subjektive Sicherheit. Andererseits werden damit auch Wahlen gewonnen, wenn manche Politiker*innen sich damit zu den Hüter*innen der subjektiven Sicherheit inszenieren. Mit dieser Rede von den unsicheren öffentlichen Räumen und der subjektiven Sicherheit werden Arme bekämpft und leider nicht die Armut. Von Armut betroffen Menschen sollen sich „richtig“ verhalten – und es entsteht der Druck, sie zu verdrängen, sie unsichtbar werden zu lassen.
Die Armen zu bekämpfen ist anscheinend leichter oder zumindest opportuner als die Armut zu bekämpfen – besonders in diesem internationalen Kontext, der zugegebenerweise auch nicht unkomplex ist. An dieser Stelle möchte ich mich jetzt aber einmal bei allen Kräften der sozialen Arbeit, der Medien und der Wiener Politik bedanken, die das anders sehen, die sich für marginalisierte Menschen einsetzen und Angebote schaffen – allen voran sam und der zuständigen Stadträtin.

Grotesk bei dieser öffentlichen Debatte um die Unsicherheit ist ja, dass die Menschen, die von Armut betroffen sind, die sind, die tatsächlich in ihrer Sicherheit gefährdet sind. Sie sind gefährdet krank zu werden, sie sind auch tatsächlich viel stärker von Gewalt im öffentlichen Raum gefährdet. Aber sie sind v.a. vielfach ausgeschlossen vom Zugang zu einer menschenwürdigen Versorgung mit Wohnraum, mit privaten Rückzugsbereichen, mit Zugang zu gesunder Ernährung, mit Zugang zu Erwerbsarbeit und Einkommen. Oft bleibt ihnen nur noch der öffentliche Raum, in dem sie zumindest ein bisschen Teil dieser Gesellschaft bleiben können.

Mit Blick auf den öffentlichen Raum: Hier stellt sich eine nächste Herausforderung: Globale wachsende Städte erleben auch einen Druck auf die öffentlichen Räume – einerseits, weil mit öffentlichen Räumen auch Geschäfte gemacht werden kann (Stichwort: Gastgärten, Tourismus, Geschäftsstraßen, Aufwertung von Immobilien). Hier werden marginalisierte Menschen dann als „Störung“ für die Geschäfte definiert. Und der öffentliche Raum wird durch diese Kommerzialisierungsinteressen gleichzeitig gefährdet und knapper. Außerdem wird der öffentliche Raum auch knapper, weil in wachsenden Städten immer mehr Menschen auf dichten Raum leben und die Ansprüche auf diese Räume immer größer und vielfältiger werden. Dabei sind Menschen die von Armut betroffen sind, besonders auf den öffentlichen Raum angewiesen. Für sie ist dieser Raum oft der einzige Raum, in dem sie sich aufhalten können. Er ist der Ort, an dem sie soziale Beziehungen pflegen können. Aber er ist auch der Raum, in dem sie zumindest in einem Teilbereich der Gesellschaft noch teilhaben können, als Teil der Öffentlichkeit und der Konsumgesellschaft.
Die Verdrängung marginalisierter Menschen an den Rand, in die Peripherie, löst nicht nur keine Probleme, sondern ist in hohem Maße ungerecht, weil das Menschen trifft, denen dadurch die Teilhabe an dieser Gesellschaft noch mehr genommen wird.

Verdrängung und Bettelverbote sind aus dieser Perspektive zynisch – sie werden damit argumentiert, dass sich Kund*innen, Bürger*innen gestört fühlen – das ist absurd – die „Störung“ ist unverhältnismäßig zu der Not der Menschen, die betteln. Die, die Bettelverbote fordern oder umsetzen, missachten ihre Verantwortung, die sie gegenüber der Allgemeinheit haben, wenn sie dem Druck von Medien oder einzelnen Beschwerdeführer*innen nachgeben. Sie verabschieden sich von Werten des Allgemeinwohls, einer gerechten Gesellschaft und der Toleranz einer demokratischen Gesellschaft, wenn sie sich für Bettelverbote und Verdrängung aussprechen.

Ich versuche jetzt noch zwei Lösungsansätze bzw. Perspektiven zu formulieren:

1. Aus der Analyse folgernd muss eine Stadt ein Interesse haben, dass öffentliche Räume erhalten bleiben für diverse urbane – heißt widersprüchliche Nutzungen – auch für von Marginalisierung betroffenen Menschen – das ergibt sich aus einem Gebot der Menschlichkeit und der Menschenwürde. Aber es ermöglicht auch mehr, dass Menschen wieder Anschluss finden können an die Gesellschaft. Im öffentlichen Raum befinden sie sich in einer Form eines sozialen Netzes. Hier bleiben sie sichtbar. Hier können sie von der sozialen Arbeit angesprochen werden. Hier können Angebote gemacht werden. Eine Stadt, die zentrale Plätze für marginalisierte Menschen erhält und vorsieht leistet einen Beitrag für deren Integration, für eine Deeskalation und sozialen Frieden.
Ich möchte an dieser Stelle an das Mission Statement der Sozialen Arbeit im öffentlichen Raum hinweisen, dass von 5 Stadträt*innen unterschrieben wurde und in dem sich ein Bekenntnis enthält, dass der öffentliche Raum für die erhalten bleiben muss, die besonders auf ihn angewiesen sind.

2. Wir müssen lernen, urbane Gelassenheit und neue urbane Kompetenzen zu entwickeln. Wir müssen es in dieser Gesellschaft lernen, Widersprüchlichkeit auszuhalten – Vielfalt, Widersprüchlichkeit, aber leider auch soziale Ungleichheiten gehören eben zu einer reichen internationalen Stadt im Kapitalismus. Diese urbanen Kompetenzen müssen wir in Bezug auf die öffentliche Debatte, die Medien ebenso entwickeln, wie Politiker*innen und wir alle, die in dieser Stadt leben. Hier haben Medien und die Politik eine Verantwortung. Und wir müssen uns dafür stark machen, dass diese Verantwortung (wieder) wahrgenommen wird. Ich weiß – ich bin hier sehr normativ – und ich fordere hier etwas, was entgegen meiner eigenen Analyse oben steht. Aber umso mehr will ich diese Forderung nach gesellschaftlicher Verantwortung hier nicht aufgeben.

Am Schluss will ich jetzt noch über die Bedeutung der Sozialen Arbeit im öffentlichen Raum reden:

Die Soziale Arbeit im öffentlichen Raum kann genau dazu einen Beitrag leisten – also für die Teilhabe marginaliaiserter Menschen und für die Entwicklung urbaner Kompetenzen – und das tut sie jetzt auch schon seit 10 Jahren – dafür möchte ich „sam“ danken.
Dafür dass sie Bildungsprozesse für die Entwicklung urbaner Kompetenzen gestaltet,
dafür dass sie Menschen, die am Rand der Gesellschaft sind, beraten und unterstützen, sowie an die richtigen Stellen weitervermitteln;
aber auch dafür, dass sie sich dafür einsetzen, dass diese Menschen weiterhin im öffentlichen Raum bleiben können, dass diese Räume erhalten bleiben und auch so gestaltet sind, dass ein Aufenthalt von Menschen mit unterschiedlichsten Interessen im öffentlichen Raum möglich ist.
Die „Mobile Soziale Arbeit im Öffentlichen Raum“ kann hier eine wirklich wichtige Rolle dabei spielen, diese Stadt so mitzugestalten, dass sie den Anspruch auf Menschlichkeit und einer integrativen Stadtgesellschaft nicht verliert.
Vielen Dank und alles Gute für die kommenden 10 Jahre!

Christoph Stoik
Wien, 28.11.17

zwei weitere links zum Thema:
Positionspapier der OGSA zur Sozialen Arbeit im öffentlichen Raum: https://www.ogsa.at/arbeitsgemeinschaften/ag-sozialer-raum/

Mission Statement und Glossar zu sozialer Arbeit im öffentlichen Raum der Stadt Wien: https://www.wien.gv.at/gesellschaft/soziale-arbeit/index.html

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