Wohnpartner-Fachtagung zu Parteilichkeit

Am 13.4.2011 fand die erste Fachtagung zu Gemeinwesenarbeit als Kooperation zwischen wohnpartner und FH Campus Wien statt. Unter dem Titel „Parteilichkeit und Allparteilichkeit in der Gemeinwesenarbeit– ein Widerspruch?“ wurde emotional und kontrovers diskutiert. Mit dieser Fachtagung geht wohnpartner in einen öffentlichen Fachdiskurs und der FH Campus Wien nimmt seine Aufgabe war, einen Ort für diesen Diskurs zur Verfügung zu stellen. Die TeilnehmerInnen waren großteils TeamleiterInnen bzw. auch GeschäftsführerInnen aus der offenen Wiener Jugendarbeit und aus der Gemeinwesenarbeit. Rückblickend mischten sich in der Diskussion unterschiedlichste Ebenen, die im folgendem Statement auseinandergehalten werden sollen. Der Diskurs hat jedenfalls ergeben, dass die Auseinandersetzung rund um Parteilichkeit komplex wird, wenn differenziert wird. Umstritten war schließlich, inwiefern ein Begriff der „Parteilichkeit“ überhaupt hilfreich ist für den Fachdiskurs und die Kooperation. Andererseits zeigt die Tagung, dass die Auseinandersetzung um diesen Begriff, die professionelle Wahrnehmung schärft und Ausgangspunkt für Klärungs- und Aushandlungsprozesse ist.

Situationsbedingte Aushandlung der Profis

Auf der lokalen Ebene zeigt sich, dass der Unterschied in Bezug auf den Auftrag an die offene Jugendarbeit und an wohnpartner zu Konflikten führen kann. Die Jugendarbeit hat den Auftrag, die Interessen der Kinder und Jugendliche zu organisieren und zu vertreten, wohnpartner soll die Interessen aller BewohnerInnen des Gemeindebaus, aber auch die der NutzerInnen des öffentlichen Raums im Gemeindebau (Höfe) organisieren. Der Begriff „Allparteilichkeit“ verschleiert allerdings die unterschiedlichen Machtverhältnisse der Gruppen und Menschen im Gemeindebau und den Einfluss der Gemeinwesenarbeit. Durch jede Intervention stärkt wohnpartner eine Gruppe mehr, die andere weniger. Das kann zum Beispiel bei der Aktivierung festgemacht werden: Eine klassische Aktivierende Befragung im Rahmen einer Haushaltsbefragung erreicht beispielsweise eher erwachsene und ältere BewohnerInnen, weniger Jugendliche. Eine aktivierende Befragung im Hof hingegen erreicht eher die, die den öffentlichen Raum nutzen, die darauf angewiesen sind, die gesellschaftlich von Benachteiligung betroffen sind (z.B. aufgrund enger Wohnverhältnisse). Wird bei der Aktivierung also „zufällig“ so vorgegangen, wie es grad passt, oder die Ressourcen es zulassen, werden (unbewusst) Entscheidungen getroffen, welche Gruppen in die Gemeinwesenprozesse einbezogen werden. Die Anforderung die sich an die MitarbeiterInnen von wohnpartner stellt, ist also, methodische Settings so zu wählen, dass möglichst viele unterschiedliche Menschen erreicht werden, insbesondere aber die, die sich wenig einbringen. Die nächste Anforderung besteht darin, zu entscheiden, welche, Menschen und Gruppen mehr und welche weniger Unterstützung benötigen. Hier kann es zwischen der offenen Jugendarbeit und der wohnpartner-Arbeit zu Konflikten kommen. Je nach Situation in den Wohnhausanlagen, wird wohnpartner einmal mehr die Interessen der Jugendlichen unterstützen müssen, einmal mehr die von anderen Gruppen, z.B. Eltern mit ihren Kleinkindern. Parteiliches Handeln in der Gemeinwesenarbeit heißt also, dass Entscheidungen getroffen werden, welche Gruppen und Menschen welche Unterstützung brauchen. Parteilichkeit in der Gemeinwesenarbeit heißt aber nicht, dass die GemeinwesenarbeiterInnen nicht weiterhin wertschätzend Kontakt zu möglichst allen Gruppen halten. Ganz ähnlich stellt sich das in der parteilichen Jugendarbeit dar – in Bezug auf unterschiedliche Jugendliche und Gruppen, sowie die Kommunikation mit Erwachsenen.

Die unterschiedlichen situationsbedingte Machtverhältnisse in den Anlagen haben zur Konsequenz, dass die lokale Jugendarbeit und das lokale wohnpartner-Team die Kooperation immer wieder aufs neue aushandeln und definieren müssen. Unprofessionell (und eine Verschwendung von Ressourcen) wäre es, wenn die jeweiligen Gruppen in den Anlagen von den Profis „aufeinandergehetzt“ werden. Ein Aushandlungsprozess zwischen den Einrichtungen im Vorfeld ist daher notwendig. Dabei werden dieselben Teams in unterschiedlichen Wohnhausanlagen unterschiedliche Formen der Kooperationen entwickeln müssen – eine große Anforderung an die Professionalität der lokalen Teams. Einmal wird es zur Entscheidung kommen, dass wohnpartner sich gemeinsam mit der Jugendarbeit für eine Verbesserung der Situation der Jugendliche einsetzt. Ein andermal wird es zur Aufgabenteilung kommen, bei der wohnpartner z.B. ruhebdürftige AnrainerInnen organisiert, während die Jugendarbeit die Jugendlichen unterstützt. Diese Konstellation stellt die größte Anforderung dar – einerseits zu kooperieren, andererseits aber unterschiedliche Interessenslagen zu unterstützen. Aushandlungsprozesse der Profis führen zu Transparenz, was Grundlage dafür ist, dass auch konflikthafte Aushandlungsprozesse zwischen unterschiedlichen Gruppen und Menschen in den Anlagen konstruktiv möglich ist

„Platzhirsch“ versus „Frischling“

Rund um „Parteilichkeit“ wurden bei der Fachtagung aber auch (territoriale) „Zuständigkeits-Fragen“ auf lokaler Ebene verhandelt. Hier besteht die Anforderung, sensibel damit umzugehen, dass Einrichtungen in den Gebieten über unterschiedliches Wissen und Kontakte verfügen. Wohnpartner-MitarbeiterInnen müssen in manchen Gebieten mit Jugendarbeit zusammenarbeiten, die dort schon lange (gemeinwesenorientiert) tätig ist. Umgekehrt stellt sich für die JugendarbeiterInnen die Frage, wie sie damit umgehen, wenn wohnpartner ihrem Auftrag gemäß in Gebieten neu tätitg wird, in denen sie schon lange arbeiten. Dies erfordert große gegenseitige Offenheit der lokalen Teams.

Institutionelle Konkurrenz

Die dritte Ebene, die über „Parteilichkeit“ verhandelt wird, betrifft die Dimension der institutionellen Logiken. Dabei stellt sich die Frage, wie die Kooperation zwischen „der Jugendarbeit“ bzw. deren Einrichtungen und wohnpartner gestaltet wird. Wer tritt mit welchen Anliegen in die Öffentlichkeit? Welche Konkurrenzen entwickeln sich und wie wird damit umgegangen?


Politische Symbolik und fachlich begründetes Handeln

Schließlich wirkt auch eine politische Ebene in die Auseinandersetzung um Parteilichkeit. Öffentlich finanzierte Soziale Arbeit hat nicht nur Auswirkungen auf die Menschen, an die sie sich richtet, sie dient auch dazu, politische Präsenz zu zeigen, öffentlich zu machen, dass etwas für die Menschen getan wird. Auch aus dieser Perspektive stellt sich die Frage, ob ein Arbeitsansatz gegenüber einem anderen an Bedeutung verliert. Auch wenn diese politische Symbolik nachvollziehbar ist und Berechtigung hat, muss die fachliche Argumentation sich von dieser Dynamik distanzieren. Das professionelle Handeln muss fachlich begründet sein.

Differenzierung als Voraussetzung für Kooperation

Da diese unterschiedlichen Ebenen in die Diskussion auf der Fachtagung kaum auseinandergehalten wurden, war die Stimmung teils sehr emotional. Aber erst wenn diese Differenzierung erfolgt, ist es möglich, die fachliche Auseinandersetzung konstruktiv zu führen und die notwendigen Kooperationen professionell zu gestalten. Es ist zu hoffen, dass die Betroffenen auf allen Ebenen diesen hohen Anforderungen gerecht werden.

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