Gemeinwesenarbeit – Sozialraumarbeit – macht´s einen Unterschied?

Vortrag Handbuchpräsentation PARK(T)RAUM, am 23.3.09
Christoph Stoik

Diskussion zur Sozialraumorientierung.

verschiedene Ursachen dafür, dass der Raum und der soziale Raum ins Zentrum der Debatte kommt – 2 davon:

1.räumliche Bedingungen und Verhältnisse verändern sich (Globalisierung, Veränderung der Nationalstaaten, Bedeutung der Regionen und Stadtteile

2.bisher wenig Beachtung räumlicher Verhältnisse in den Sozialwissenschaften ....


uneinheitliches Verständnis:

als Steuerungsmodell, Verantwortung von übergeordneter Ebene auf „benachteiligte Stadtteile“ oder „soziale Räume“ zu verlagern (Sozialraumorientierung in der Jugendwohlfahrt!)

Aneignung von „gesellschaftlichen Raum“ durch Jugendliche

komplexes theoretisches Konzept, das in diesem Vortrag Verwendung findet. Ein Modell, dass den territorialen Raum und dessen Erscheinung nicht entkoppelt sieht von gesellschaftlichen Verhältnissen – französische Raumsoziologie (u.a. Levebfre und Bourdieu).
„Sozialraumarbeit“

Sozialraumorientierung in der Sozialen Arbeit, aber auch in der sozialen Stadtentwicklung wird somit zu einem weitgehend unumstrittenen Konzept – wozu brauchen wir dann noch GWA, als traditionelles Konzept aus der Sozialen Arbeit, das schon immer den Raum in Betracht gezogen hat???
das ist die Frage, die ich wahrscheinlich nicht endgültig klären werde, in diesem Vortrag, aber sie soll uns jetzt begleiten, wenn wir uns beispielhaft dem Projekt „Park(t)raum“ zuwenden. Ich werde versuchen, das Projekt zuerst aus der Perspektive der GWA betrachten und dann aus der Perspektive der Sozialraumarbeit.


zuerst aus der GWA-Perspektive:

1.Ziel ist die Lebenssituation lokaler AkteurInnen in einem Gemeinwesen (in einem Stadtteil) gemeinsam mit den betroffenen zu verbessern. Oder anderes gesagt: es geht darum, die Interessen, Bedürfnisse der lokalen AkteurInnen zu erheben, zu organisieren und im politischen Raum wirksam zu machen. GWA hat somit einen intermediären Charakter, zwischen den Lebenswelten zu vermitteln und den politischen bzw. ökonomischen System – auch ausgleichend.

bei Park(t)raum: Nutzungs-Gegensätze und Kommunikationsschwierigkeiten, die auch Ausdruck von einer sich wandelnden Gesellschaft ist (Ausdifferenzierung von Lebensstilen, Milieus und Interessen), wurden mit diesem Projekt Gegenstand von öffentlichen und politischen Handeln – also öffentlich sichtbar (auch mit diesem Handbuch). Ausgangspunkt des Handelns sind auch die Interessen der NutzerInnen des Parks.

2.Leitstandard „Zielgruppenübergreifend“:
GWA konzentriert sich nicht auf eine Zielgruppe, sondern Interessen, Bedürfnisse und Probleme werden zielgruppenübergreifend in den Blick genommen.

Park(t)raum: Kinder, Jugendliche, Erwachsene, ältere Menschen, unterschiedliche Kulturen

3.Leitstandard „Ressortübergreifend“:
wenn es um die Vermittlung und den Ausgleich unterschiedlicher Interessen in einem Stadtteil geht – also lebensweltliche Interessen, sind meist eine Vielzahl von Ressorts gefragt, mitzuwirken.

Park(t)raum:besonders bemerkenswert, konkrete praktische ressortübergreifende Zusammenarbeit, die nicht selbstverständlich ist. Immerhin wirken in jeden Ressorts eigenwillige Logiken und Kulturen, was ja auch gut ist, weil so Aufgaben multiperspektivisch betrachtet werden können. Dafür ist aber die Zusammenarbeit immer wieder neue zu erfinden und zu organisieren – ich verstehe dieses Projekt als konkreten Erfolg einer ressortübergreifende Zusammenarbeit, so wie diese ressortübergreifende Projekte eindeutig im Zunehmen inbegriffen sind (z.B. Salto, ...).

Ressorts (Zuständigkeit): Wohnen (GB), Stadtentwicklung und Planung (Parks), Jugend (Zeitraum), Soziales (Wr. Sozialdienste), Integration, Geschlechter-Fragen, ...

4.Leitstandards: Ressourcen-Orientierung:
Betrachtet werden nicht nur die Probleme, sondern, auch welche Ressourcen und Stärken hilfreich sein können Herausforderungen zu bewältigen.

Park(t)raum: Kommunikations-Ressourcen der Zielgruppen, räumliche Ressourcen, interdisziplinäre und institutionelle R.

aber v.a. auch die Ressourcen der ehrenamtliche Älteren – damit ist aber gleich auch ein weiterer Leitstandard angesprochen:

5.Leitstandard „Selbsthilfe und Selbstorganisation“:
Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten der älteren – aber auch der jüngeren.

Kommunikationskompetenzen - „soziale Netze“, die das horizontale Aushandeln von unterschiedlichen Gruppen befördern und erleichtern.

6.ist gleich: Vernetzung, Kooperation, sowie Verbesserung der immateriellen Verhältnisse



jetzt aus der Perspektive der „Sozialraumarbeit“

die französische Raumsoziologie betrachtet, wie soziale Ungleichheit entsteht und wie sie sich ausdrückt. Pierre Bourdieu hat dafür vier verschiedene Kapitalsorten definiert, neben dem ökonomischen Kapital, das kulturelle, soziale und symbolische. Der Soziale Raum ist für ihn einmal ein abstrakter Raum, der „gesellschaftlichen Ungleichheit“. B. erkennt aber auch, dass Ungleichheit sich auch im territorialen Raum abbildet, sichtbar wird, was wieder zurück wirkt auf den sozialen Raum – auf die Manifestierung von sozialer Ungleichheit. In der Sozialraumarbeit (Kessl/Reutlinger) wird diese Erkenntnis aufgegriffen, was zu mehreren Konsequenzen führt:

1.der territoriale Raum ist relevant, wenn es darum geht soziale Ungleichheit zu bearbeiten – aber diese kann nicht alleine dort bearbeitet werden. allerdings ist wird im territorialen Raum soziale Ungleichheit sichtbar und ist damit oft Ausgangspunkt für „sozialräumliche“, sozialstaatliche Arbeit.

bei Park(t)raum ist das der Park, der geringe Freiraum für eher unterprevilegierter lokaler AkteurInnen, die im öffentlichen Raum in Konkurrenz zueinander stehen.

2.Konflikte, bzw. soziale Probleme als Ausdruck von sozialer Ungleichheit, sind bearbeitbar, bzw. auch Ausgangspunkt, sich mit Ungleichheit auseinander zu setzen. Dabei wird nicht nur der territoriale Raum in den Blick genommen, sondern eben auch soziale Verhältnisse.

bei Park(t)raum bedeutet das, dass Nutztungskonflikte im Park nicht nur als Ausdruck von engen Raum für eher benachteiligte Bevölkerungsgruppen verstanden wird, sondern diese Akteursgruppen auch genauer in den Blick genommen werden: über welche Ressourcen verfügen sie, welche Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten sind ihnen verschlossen. Aus der Perspektive der Sozialraumarbeit wird schließlich nicht nur der Park in den Blick genommen, sondern

a) spezielle Nutzungsinteressen aufgrund von spezifischen milieubedingten Interessen (Interessen von Mädchen, Interessen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die am Arbeitsplatz kaum Chancen haben, Interesse älterer autochthoner Bevölkerungsgruppen nach sinnstiftender Beschäftigung, sozialer Kontakte, etc. ....).
Das kann Konsequenzen haben für die Parkgestaltung, aber auch für die konkrete Kommunikationsarbeit vor Ort – welche Kompetenzen befördert werden könnten, welche Kompetenzen ohnehin vorhanden sind.

b) gleichzeitig wird aber auch sichtbar, wo hinter Nutzungskonflikten um territoriale Räume ganz andere Ursachen auch stecken, wie beispielsweise eine mögliche Perspektivenlosigkeit, unter der ein ganzes Milieu leiden könnte. Die Konsequenz ist dann einerseits erkennen zu können, dass manche Konflikte nicht auf der territorialen Ebene bearbeitbar sind, und dass bestimmte Kompetenzen besonders gefördert werden müssten, bzw. Barrieren für bestimmte Milieus abgebaut werden müssen. Aus dieser Perspektive werden „SozialraumarbeiterInnen“ ExpertInnen für die Bearbeitung von sozialer Ungleichheit, wobei sowohl im territorialen Raum, bei individuellen und milieuspezifischen Handlungsmöglichkeiten und bei strukturellen Rahmenbedingungen angesetzt werden.

Ich bitte an dieser Stelle um Verständnis, wenn ich abstrakt bleibe und diese Reflexion nicht am konkreten Projekt Park(t)raum anwende.


[Zusammenfassung]

An dieser Stelle wird nämiche der Unterschied zwischen Sozialraumarbeit und GWA zusammenfassend sichtbar: Sozialraumarbeit stellt ein theoretisches Konzept dar, das ermöglicht, sozialräumliches gemeinwesenorientertes Handeln so reflektieren, zu erkennen, wie wirksam es sein kann, welche blinden Flecken bestehen, aber auch um dieses Handeln zu planen und zu entwickeln. Das detaillierte Betrachten der Milieus, deren Eigenheiten, der Kapitalausstattungen (Ressourcen) und deren besonderen Interessen und Bedürfnisse können gezielter erkannt und bearbeitet werden. Darüber hinaus wird sichtbar, dass „Sozialraumarbeit“ ein stringentes theoretisches Modell darstellt, den Raumbegriff klar definiert und somit aber auch das konkrete Handeln auf Stadtteilebene, aber auch auf der Ebene der Stadtplanung und -entwicklung systematisch planen lässt.


In Bezug auf die GWA, ist zu sehen, dass da ganz unterschiedliche theoretische Bezüge im Hintergrund stehen. Und anhand meiner heutigen Ausführungen, dass GWA als praxisnahes Konzept zu verstehen ist, verknüpft mit konkreten Methoden, aber auch mit einer bereits 100 Jährigen Tradition. Diese Tradition ist sowohl in Bezug auf die Praxis als auch auf die Theorie mit zivilgesellschaftlicher Bewegung verbunden, also damit, dass Menschen zu Wort kommen mit deren Bedürfnissen und Problemen, die tendenziell wenig Beachtung finden. Das GWA-Konzept erschließt also eher methodische Ansätze, wie eher benachteiligte öffentlich zu Wort kommen und wie es zum Ausgleich zwischen lebensweltlichen und ökonomischen bzw. Ordnungsinteressen kommen kann.


Beide Konzepte bzw. Zugänge haben zur Folge, dass die Betroffenen beteiligt werden.


Es stellt sich also weniger die Frage nach dem „entweder - oder“, entweder GWA oder Sozialraumarbeit, sondern vielmehr, wie das Handeln im Rahmen der GWA durch einen sozialräumliche reflexive Haltung systematischer geplant werden könnte bzw. eben reflektiert werden kann. GWA stellt für mich auch ein praxisnahes Bindeglied dar, zwischen gesamtstädtischen Planungen und Entwicklungen und den konkreten Handeln und Bedürfnissen in den einzelnen Stadtteilen und den von ihnen bewohnten vielfältigen Milieus.


Literatur:

Kessl, Fabian; Reutlinger, Christian: Sozialraum. Eine Einführung. Wiesbaden, 2007
Stoik, Christoph: Sozialraumorientierung als theoretische Grundlegung der Sozialen Arbeit. In: Sozialarbeit in Österreich. Nr.: 1/08, Wien, 2008
userin (Gast) - 30. Jul, 13:10

BA-Arbeit: Deutschsprachiger Sozialraumdiskurs - Zwei Analysen

FYI: Eine Bachelor-Arbeit aus dem Jahr 2008 an der Alice Salomon FH Berlin zum Thema GWA als Arbeitsprinzip im Verglich mit dem Konzept Sotialraumorientierung:
http://transnationalesozialarbeit.files.wordpress.com/2008/06/version-final-christian-rehbein3.pdf


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