Replik zu Interview mit Reinhard Seiß im Falter 15/10

Im aktuellen Falter (16/10) ist es ja schon korrigiert: Besserverdienende müssen nicht aus dem Gemeindebau ausziehen – eine vernünftige Regelung, um die soziale Durchmischung zu fördern. Diese Maßnahme dürfte aber kleinräumig betrachtet sehr unterschiedlich wirken. Überhaupt ist der Gemeindebau nur verstehbar, wenn er kleinräumiger betrachtet wird. Zu berücksichtigen ist nicht nur das Baujahr der einzelnen Anlagen, die unterschiedliche räumliche Qualitäten zur Folge haben, sondern auch die Lage in der Stadt und „sozialräumliche“ Entwicklungen. So sind Gemeindebauten am Stadtrand z.B. in Döbling für manche sozial besser gestellten Bevölkerungsgruppen noch attraktiv, während andere in Bezirken mit ärmerer Bevölkerung auch wieder nur für Menschen interessant sein könnten, die sich nichts anderes leisten können, die wenig Wahlmöglichkeiten haben. Wohnhausanlagen mit großen Wohnungen wiederum ziehen eher kinderreiche Familien an, was zu Generationenkonflikten führen kann, in anderen ist durch das Alter der Wohnhausanlage und eher kleinen Wohnung eine hohe Heterogenität zu bemerken (ältere Menschen, ärmere Menschen in kleinen billigen Wohnungen, junge kleine Familien, ...). Gemeindebau zeigt sich in Wien also sehr unterschiedliche, und v.a. nicht nur als Ort von sozialen Problemen, wie das im öffentlichen Diskurs manchmal dargestellt wird und damit gleich alle 500.000 BewohnerInnen mitstigmatisiert. Ein Mix an unterschiedlichen, aber auch kleinräumig abgestimmter Maßnahmen (von baulichen Verbesserungen, kommunikativer Angebote wie die von „wohnpartner“, u.a. die Förderung der Partizipation, Anreize für die soziale Durchmischung, aber auch kundennahe und -orientierte Verwaltung) scheint da Sinn zu machen, die Qualität des sozialen Wohnbaus in Wien weiter zu entwickeln, aber auch mit neuen Problemen umzugehen.
jürgen neuhuber (Gast) - 27. Mai, 22:34

ein wichtiger punkt, den du hier meiner meinung nach ansprichst. zunächst gilt es aber überhaupt der frage nachzugehen, was mit sozialer durchmischung gemeint ist. im politischen und alltagsdiskurs tauchen hier vor allem die bereiche bildung (schule) und wohnen (stadtteile) auf. dabei wird dann gerne auf den anteil von teilnehmerInnen (schülerInnen - bewohnerInnen) mit migrationshintergrund verwiesen, welcher ab einem ziemlich beliebig festgelegten wert problematisch erscheint. dahingegen wird ein hoher anteil von schülerInnen ohne migrationshintergrund oder ein hoher anteil von wohnbevölkerung mit hohem einkommen keineswegs als gefahr interpretiert.
daher frage ich mich schon, ob mit der forderung nach sozialer durchmischung wirklich eine heterogenisierung (egal entlang welcher kriterien - soziale schicht, einkommen, migrationshintergrund, bildung, etc.) gemeint ist, oder - provokant formuliert - die abwehr derselbigen.
aber ich bin auch der meinung, dass eine diskussion darüber wichtig und notwendig ist. betrachtet man hier den sozialen wohnbau, gibt es in europa durchaus unterschiedliche zugänge in der steuerung des zuganges zum sozialen wohnbau. zwar würde hier eine qualifizierte betrachtung längeren raum einnehmen, aber zwei beispiele möchte ich kurz anführen: münchen steuert ganz progressiv über das merkmal des migrationshintergrundes, während hingegen wien dies nicht tut. wien steuert v.a. über die familiengröße und den wohnraumbedarf, was - sozusagen durch die hintertür - zu einer gewissen segregation führt.
ich würde mir daher gerne eine spannende und anregende diskussion über das thema wünschen und hier v.a. verschiedene perspektiven (praxis, wissenschaft, verwaltung, politik, zivilgesellschaft) wünschen.

Christoph Stoik - 4. Jun, 12:31

Eigentlich wärs sehr wünschenswert, das Thema "Steuerung der sozialen Durchmischung" im sozialen Wohnbau mal differenziert - z.B. auf einer wissenschaftlichen Tagung zu diskutieren - danke für deinen interessanten Kommentar!!
Ich glaube auch, dass das Thema echt komplex ist, und es keine einfachen Lösungen dazu gibt.

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